Stell dir vor, du bist auf einer Party. Eine Geräuschkulisse von lauter Musik, klirrenden Gläsern und wilden Gesprächen umgibt dich… doch du hörst nichts.
Die Rede hier ist von Gehörlosigkeit. Ein Handicap, welches rund 80.000 Menschen in Deutschland betrifft.
Ich selbst bin eine hörende Tochter von gehörlosen Eltern und kann auf Grund dieser Tatsache (wenn auch nur in Ansätzen) nachvollziehen, welchen Hürden und Vorurteilen gehörlose Menschen tagtäglich ausgesetzt sind.
Die Diskriminierung
„Ah, deine Eltern sind also taubstumm!“
„Wie hast du denn sprechen gelernt?“
„Dann können deine Eltern sich also gar nicht verständigen?“
„Deine Eltern sind behindert“
…
Dies sind nur wenige Aussagen mit denen ich, seitdem ich denken kann, konfrontiert werde.
Nein! Es heißt gehörlos und NICHT taub oder taubstumm. Diese Begriffe sind veraltet und sehr diskriminierend.
Ähm… Kannst du dich erinnern, wie du, trotz hörender Eltern, sprechen gelernt hast?
Doch! Natürlich können sie sich verständigen. Mittels Gebärdensprache und Lippenlesen können sie tatsächlich ihren Alltag bestreiten.
Jain! Gehörlosigkeit ist eine Behinderung, jedoch wird die Bezeichnung als solche gar nicht so gerne von gehörlosen Menschen genutzt.
Keine Barrierefreiheit in Deutschland
Leider ist es heute noch so, dass viele Hilfsmittel in Deutschland noch nicht in unser aller Alltag etabliert werden. So ist es z.B. in den USA selbstverständlich, dass in öffentlichen Einrichtungen Mitarbeiter*Innen eingestellt werden, die die Gebärdensprache beherrschen. Bei öffentlichen Veranstaltungen, Fernsehbeiträgen & Co werden Dolmetscher eingesetzt / eingeblendet, um Gehörlosen einen Zugang zu verschaffen.
Was ich persönlich an dieser Stelle noch viel wichtiger finde, ist die Toleranz, die dadurch in anderen Staaten an den Tag gelegt wird. Es ist kein unbekannter Anblick, wenn sich Menschen mit „fliegenden Händen“, lautlos oder auch mit etwas „sonderbaren“ Lauten unterhalten. Es wird weniger „gegafft“, da das Gesehene total normal ist.
Wie oft habe ich miterlebt, wie meine Eltern angestarrt werden. Wie sich Kinder sowie Erwachsene distanzieren, weil sie nicht wissen, wie sie mit der Begegnung umgehen sollen. Wie Ablehnung erfolgt, da Gehörlose als dumm abgestempelt werden.
Die Gebärdensprache ist eine eigenständige Sprache
Kaum vorstellbar, aber die Gebärdensprache wurde erst 2002 als rechtlich eigenständige Sprache anerkannt. Den meisten ist nicht bekannt, dass die Gebärdensprache über eine eigene Grammatik, sowie auch Dialekte verfügt. Sie unterscheidet sich, wie die Lautsprache, von Land zu Land und ist somit nicht international gleich.
Die Rückständigkeit in Deutschland
Mein Vater – „Baujahr“ 1954 – musste seine Kindheit auf einem Internat für gehörlose Kinder verbringen. Hier wurde es den Kindern untersagt die Gebärdensprache zu benutzen, da diese als primitiv galt. Im Gegensatz hierzu, war das Thema „Inklusion“ bei meiner Mutter – „Baujahr“ 1955 & Heimat in Finnland – bereits zu ihrer Kindheit kein Problem.
Allein diese beiden Beispiele zeigen, dass wir in Deutschland leider immer noch sehr rückständig sind und viel Luft nach oben für ein respektvolles Leben miteinander ist.
Bei all den negativen Fakten gibt es zum Glück aber auch positive Veränderungen.
So können heutzutage hörgeschädigte Menschen die gleiche Laufbahn durchlaufen wie es auch bei hörenden der Fall ist. Durch den digitalen Wandel ist es ihnen möglich, schneller und eigenständig zu kommunizieren. Videocalls bieten die Möglichkeit untereinander zu plaudern und so Nähe zum Kommunikationspartner aufzubauen. Das Thema Inklusion wird, wenn auch eher müßig, immer weiter ausgebaut. Bessere Hörgeräte können schwerhörigen Menschen ein neues Lebensgefühl verschaffen.
Tipp: Film Jenseits der Stille
Eure Jenni vom Toleranz im Netz-Team